Reisen, Ereignisse und andere schöne Momente

Amiens, Abbeville und die Bucht der Somme (Mai 2023)

Henri Matisse und überraschende Geschenke

Ein letztes Frühstück in unserem klösterlich ruhigen Quartier in Abbeville in Szene gesetzt durch die zahlreichen süßen Versuchungen unseres Gastgebers und gelernten Konditors. Gabi will danach noch ein paar Fotos von den Hühnern machen, aber die Damen lassen sich nicht blicken. So öffnet sich ein letztes Mal das Hoftor vor uns, bevor wir durch die Straßenlabyrinthe zur Autobahnauffahrt navigieren und in Richtung Saint-Quentin fahren.

Zuerst geht es nach Bohain-en.Vermandois zur Maison familiale d‘Henri Matisse. Er wurde zwar am 31. Dezember 1869 in Le Cateau-Cambrésis geboren. Die Familie zog jedoch wenige Tage später nach Bohain-en.Vermandois, um dort eine Samenhandlung und Drogerie zu übernehmen. Aufgewachsen ist Matisse also dort und das Museum bemüht sich, die damalige Umgebung mit Pferdestall, Getreideaufzug, einer Sortiermaschine für Körner, Familienfotos und nachempfundenen Wohn- und Arbeitsräumen lebendig werden zu lassen.

Henri Matisse hatte hier nie ein Atelier und der Raum ist eher als Verneigung vor dem Künstler zu verstehen
Die Möbel und Gegenstände hat die Familie Duthuit-Matisse gestiftet. Sie sollen die aus Henri Matisses Jugendzeit sein.
Der Getreidespeicher, Pferdestall und Hof sind gut erhalten geblieben. Die Drogerie mit ihren Düften, Formen und Farben leider nicht.
Eine Rüttelmaschine zum Sortieren der Körner, die Transmissionswellen unter der Decke und der Getreideaufzug im Hintergrund

Die Ausstellung war ganz nett und mit Audioguides und Projektion in Endlosschleife für jüngeres Publikum aufbereitet. Den Umweg war sie aber nicht wert.

Mit der Dame in der Boutique haben wir noch eine Weile gesprochen und sie hat uns den Tipp gegeben, auch im Musée Matisse in Le Cateau-Cambresis einen Stopp zu machen, weil dort auch Werke von Matisse ausgestellt sind und das Museum nur noch dieses Wochenende auf hat, bevor es für mindestens ein Jahr wegen Baumassnahmen zur Erweiterung geschlossen wird.

Sie sagte, dass Matisse in seinen letzten Jahren dem Bürgermeister von Bohain-en-Vermandois die Schenkung von etwa 70 Werken angeboten habe, mit der Auflage dass sie im Rathaus der Stadt öffentlich zugänglich gemacht werden. Das hat der damalige Bürgermeister abgelehnt. Was für eine unfassbare Fehlentscheidung!

Einige Zeit später bemühte sich seine Geburtsstadt Le Cateau-Cambresis darum, seine Schenkung für ein Museum Henri Matisse zu erhalten. Das hatte Erfolg und die Werke von Matisse wurden zum Grundstock des heutigen Museums.

Klar, dass wir die Gelegenheit nutzen und das Museum in Le Cateau-Cambresis besuchen. Zuerst geht es aber in Bohain-en-Vermandois zu P‘tit Resto direkt nebenan. Das sieht nach nichts aus, ist aber gut bewertet und ein Glücksgriff, wie sich herausstellt. Wir bestellen das Menü mit Räucherlachs und Gambas für Gabi bzw. gratinierten Jakobsmuscheln und Meeresfrüchten für mich als Entrée. Als Hauptgang hat Gabi ein Kotelett mit Sauce Maroille gewählt und ich einen Jambon en broche. Vorweg gibt es als mises en bouche einen großen Teller mit je einen Espressotäschen Pilzcremesuppe, einem Gläschen Cous-cous mit Frischkäse, einem Spieß Käse und Schinken, Oliven und Rillettes. Das ist mehr als großzügig und aller sehr schmackhaft. Beim Hauptgang müssen wir die Segel streichen, um noch Platz für einen Nachtisch zu lassen.

Meine neue Theorie, dass man die französische Küche am besten jenseits der Touristenströme und Städte in abgelegenen Dörfern und dort gut bewerteten Restaurants genießt, verfestigt sich mit diesem Erlebnis. Auf dem Land gibt es keine Sterne, weil der Kellner so nett war oder die Sonne so schön schien. Wer hier punktet, muss zuverlässig Qualität abliefern.

Nach dem Mittagessen geht es glücklich weiter nach Le Cateau-Cambrésis über sanfte Hügel, durch kleine Wälder, kleine Ortschaften und entlang weiter Felder. Hier ist es so ländlich, dass wir sogar einen kostenlosen Parkplatz direkt gegenüber dem Museum finden. Das befindet sich neben dem Rathaus in einem Palais mit schmiedeeiserner Umzäunung und großem Vorhof auf dem wir schon Plastiken von Matisse und Miro sehen.

Im Eingangsbereich tummeln sich Familien deren Kinder an einem Kurs teilnehmen. Andere Besucher warten geduldig bis sich das Tohuwabohu etwas gelegt hat und sie Karten holen können. Der Eintritt ist kostenlos und man bekommt trotzdem eine hübsche Eintrittskarte die man unter fünf schonen Dekors auswählt.

Die Gründer des Museums haben sich nach der Schenkung von Henri Matisse sehr aktiv um den Ausbau der Sammlung bemüht und konnten Nachfahren weiterer Künstler dazu bewegen, deren Arbeiten dem Museum zu stiften. So kamen Werke von Giacometti, Derain, Chagall, Miro und Picasso hinzu.

Nachbau des Salons im Haus des Verlegers Tériade in Saint-Jean-Cap-Ferrat. Befreundete Künstler hatten Haus und Garten nach und nach ausgeschmückt, um ihre Verbundenheit und Dankbarkeit auszudrücken

Nach dem Besuch sprach uns ein älterer Herr auf Deutsch an und erzählte uns, dass der deutsche Kaiser mit seinem Generalstab 1918 hier gewesen sei, um die ersten englischen Panzer, die Tanks, auf dem Schlachtfeld zu sehen. Außerdem sei Rommel mit seiner Panzerdivision im nächsten Krieg vor der Haustür vorbei gerollt auf dem Weg an die Küste von Calais. Nach und nach wandte sich das Gespräch aktuelleren und erfreulicheren Themen zu. Wir sprachen über Städtepartnerschaften, Windkraftanlagen und Eliten, Früh-Kölsch und Kunstausstellungen. Er war erstaunlich gut beschlagen, hatte seine Fakten parat und schmunzelte, wenn er eine kleine Spitze gegen die Überheblichkeit der Politiker und Wohlstandssozialisten in Paris machen konnte. Aber auch der deutsche Kaiser kam nicht gut weg, der nach dem ersten Weltkrieg die deutschen Goldvermögen mit in das niederländische Exil nahm und seine Hände in Unschuld wusch.

Es ging so eine ganze Weile in Deutsch und Französisch hin und her. Gabi versuchte tapfer zu folgen und ich war so in das Gespräch vertieft, dass ich viel zu wenig übersetzt und erklärt habe.

Als wir uns von dem älteren Herrn verabschiedet hatten, schenkte mir Gabi trotzdem einen sehr schönen Bildband über Matisses Zeit an der Côte d‘Azur von 1939 bis 1943. Als Dankeschön und Erinnerung an die schönen Urlaubstage.

Beim Verlassen des Museums kommt nochmal der ältere Her auf uns zu, bedankt sich für das Gespräch und drückt mir ein Buch über den Verleger Tériade mit einer persönlichen Widmung in die Hand. Ich hätte mich gerne mit einem Geschenk revanchiert, kann mich aber nur ganz herzlich bei ihm bedanken und verabschieden.

Zuhause schauen wir, ob wird den Namen richtig entziffern können und vielleicht seine Adresse ausfindig machen, damit wir uns bei ihm mit einem kleinen Geschenk bedanken können. Gabi wird auch schnell fündig. Der ältere Herr heißt Jean-Marie Faugeroux, war früher Anwalt und ist der Präsident des Fördervereins des Museum sowie Gründer der Städtepartnerschaft mit einer Gemeinde im Westerwald. Sein Vater war daran beteiligt, Henri Matisse zur Stiftung an seine Geburtsstadt zu bewegen. Ein herzlicheres Willkommen in diesem Museum und einen schöneren Abschluss der Reise hätte man sich nicht wünschen können.