Man sagt, mit dem Alter kommt die Weisheit. Aber manchmal kommt es auch ganz allein.
Mark Twain
In der Nähe von Bretton Woods geht es mit der Seilbahn 400 Meter hoch auf den Gipfel des Canon Mountain. Beim Passieren der Stützpfeiler gerät die Kabine leicht ins Schaukeln. Der Blick geht über Hänge mit leuchtenden Blättern in vielen Farbtönen, die im Wind zittern. In der Ferne rollen die Höhenzüge der White Mountains in immer blasseren Blautönen dem Horizont entgegen. Der Himmel zieht sich langsam zu und der Wind auf der Gipfelstation bläst kräftig und kalt.
Wir nehmen den Rundweg um die Kuppe, der zwischen geduckten Krüppelkiefern über Waldboden und Granitfelsen führt. Der Weg ist gut ausgebaut, hat aber ein paar Stellen wo man aufpassen muss. Eine dieser Stellen ist eine schräg abfallende Granitplatte mit kleinen Rinnsalen, die man mit einem großen Schritt nehmen muss, um nicht auszurutschen. Genau hier begegnen wir zwei älteren Paaren die steifbeinig den Weg entlang schlurfen und angstvoll auf die Stufe vor ihnen starren. Sie nehmen dankbar eine stützende Hand an und schaffen es ohne zu stürzen auf den Pfad, den wir gekommen sind. Wir setzen unseren Weg fort und treffen auf eine weitere und weitaus schwierigere Granitstufe, die unser Seniorenquartett alleine gemeistert haben muss. Es ist ein Wunder, dass sie es unverletzt so weit geschafft haben.
Kurz bevor wir die Seilbahnstation erreichen, kommt eine ältere, indianisch aussehende Frau jammernd und klagend auf uns zu. Ob wir ihr Kind gesehen hätten. Mit eine Windjacke an. „Oh Gott, hoffentlich ist nichts passiert! Ich habe nur kurz weggesehen und dann war er verschwunden“. Wir sind geschockt und überlegen, ob wir gleich mit der Suche beginnen oder zuerst in der Seilbahnstation Hilfe anfordern. Während sie mit den Tränen kämpft, klingelt ihr Handy. Fieberhaft fingert sie herum und schafft es endlich den Anruf anzunehmen. „Oh Baby, da bist du ja. Wo steckst du denn. Ich habe mir schon solche Sorgen gemacht“. Baby geht es aber gut, denn Baby ist schon achtzehn Jahre alt und hat sich einfach alleine ein bißchen umgeschaut.
Zurück in der Seilbahn entschädigt uns der Blick auf ein fernes sonnenbeschienenes Tal unter einem zart schimmernden Regenbogen für die morgendliche Irritationen. Es schaukelt wieder und mein Blick wandert über die gedrängt stehenden Menschen in der Kabine. Auf dem Typenschild steht, dass der Hersteller Fate heißt, zu deutsch: Schicksal. Ich überlege kurz, ob ich Gabi auf den unheilvollen Namen hinweise, aber sie ist auch so froh, wenn sie bald wieder festen Boden unter den Füßen hat.




